Bundesrat schwächt Gewässerschutz
Bundesrat stützt Stromproduktion und schwächt Gewässerschutz / Infosperber, Hanspeter Guggenbühl / 15. Aug 2019 / Wer vor Jahrzehnten ein Wasserkraftwerk baute und damit die Natur zerstörte, soll das weitere Jahrzehnte tun dürfen.
Nein, dieser Klartext, mit dem wir im obigen Titel und fett gedruckten Lead den gestrigen Entscheid des Bundesrates zur «Anpassung der Umweltverträglichkeitsprüfung» zusammenfassen, steht nicht in der dazugehörenden Medienmitteilung. Denn der Sachverhalt ist kompliziert respektive wurde kompliziert gemacht. Das erlaubte es der Bundesverwaltung, in seiner Medienmitteilung den schwerwiegenden Beschluss zu verschleiern, den die Landesregierung gestern Mittwoch zu Lasten des Gewässerschutzes fällte.
Wir dokumentieren nachstehend diese Medienmitteilung der Bundesverwaltung (in kursiver Schrift). Dieser offiziellen Information stellen wir anschliessend unserem Artikel gegenüber mit dem Titel «Naturzerstörung durch Wasserkraftwerke soll verewigt werden», den Infosperber am 19. Februar 2019 über die Vorgeschichte publizierte. Diese Gegenüberstellung kann Interessierten auch als Hör- und Lesehilfe dienen für allfällige Berichte, die andere Medien über diesen Entscheid publizieren.
1. Die aktuelle Medienmitteilung der Bundesverwaltung
«Bundesrat begrüsst Anpassung der Umweltverträglichkeitsprüfung bei der Konzessionserneuerung von Wasserkraftwerken», lautet der Titel der offiziellen Medienmitteilung vom 14.08.2019. Darunter steht folgender Text zu Handen der Medienschaffenden:
«Der Bundesrat unterstützt den von der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrats (UREK-N) erarbeiteten Entwurf zur Änderung des Wasserrechtsgesetzes (WRG). Damit soll die parlamentarische Initiative 16.452 Rösti 'Ausbau der Wasserkraft zur Stromerzeugung und Stromspeicherung. Anpassung der Umweltverträglichkeitsprüfung' umgesetzt werden. In seiner Stellungnahme vom 14. August 2019 begrüsst der Bundesrat, dass bei Konzessionserneuerungen für bestehende Wasserkraftwerke der Ausgangszustand als Referenz für die Bemessung von Schutz-, Wiederherstellungs- und Ersatzmassnahmen nach dem Natur- und Heimatschutzgesetz klar festgelegt wird. Der Bundesrat spricht sich ausserdem dafür aus, dass bei Konzessionserneuerungen auch Massnahmen zu Gunsten von Natur und Landschaft in den vom Bestand der Wasserkraftanlage beeinflussten natürlichen Lebensräumen vereinbart oder angeordnet werden können, sofern diese möglich und verhältnismässig sind.
Bei der Erneuerung einer Wasserrechtskonzession von bestehenden Speicher- und Laufkraftwerken mit einer installierten Leistung von mehr als 3 MW muss im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung auch der sogenannte «Ausgangszustand» dargestellt werden. Dieser dient als Referenz für die Festlegung allfällig umzusetzender Schutz-, Wiederherstellungs- und Ersatzmassnahmen gemäss Natur- und Heimatschutzgesetz.
Im geltenden Recht ist nicht eindeutig festgelegt, was unter dem Begriff «Ausgangszustand» zu verstehen ist. Dies führte in der Praxis immer wieder zu Unsicherheiten und Diskussionen. Mit der geplanten Änderung des WRG soll nun der Ausgangszustand eindeutig festgelegt werden als Zustand zum Zeitpunkt der Einreichung des Konzessionserneuerungsgesuchs (Ist-Zustand). Der Bundesrat begrüsst, dass damit Rechtssicherheit geschaffen und die Verfahren vereinfacht werden. Dies ist von grosser Bedeutung, da in den nächsten Jahrzehnten sehr viele Konzessionserneuerungen für bestehende Wasserkraftwerke anstehen.
Auch wenn bei Konzessionserneuerungen keine neuen Eingriffe in schutzwürdige Lebensräume erfolgen, sollen nach Möglichkeit und soweit verhältnismässig Massnahmen zu Gunsten von Natur und Landschaft in den durch den Bestand der Wasserkraftanlage beeinflussten natürlichen Lebensräume vereinbart oder angeordnet werden können. Die Kommissionsminderheit will dafür im WRG eine gesetzliche Grundlage schaffen. Der Bundesrat unterstützt dieses Anliegen.»
2. Der Sachverhalt, wie ihn Infosperber beschrieb
Soweit die Medienmitteilung des Bundes, die für Nicht-Eingeweihte wohl nur schwer verständlich ist. Nachstehend nun- die Vorgeschichte, wie sie Infosperber am 19. Februar 2019 beschrieb, erläuterte und politisch einordnete:
Die meisten Wasserkraftwerke in der Schweiz wurden zwischen 1945 und 1970 gebaut. Die Standortgemeinden oder Kantone erteilten den Stromfirmen dazu befristete wasserrechtliche Konzessionen, ohne ihnen wesentliche ökologische Auflagen zu machen. Denn Gesetze zum Schutz von Gewässern, Natur und Landschaft beschlossen oder verschärften Bund und Kantone erst später, meist nur auf Druck von Umwelt- oder Fischereiverbänden.
Nutzung der Wasserkraft auf Kosten der Natur
Der hemmungslosen Nutzung der Wasserkraft fielen Auenwälder, Moore und andere Naturlandschaften zum Opfer, die für die Vielfalt an Tieren und Pflanzen besonders wichtig sind. Das Ausmass dieser Naturzerstörung erfasste 2015 eine Studie des Büros Ernst Basler und Partner. Demnach erfüllen nur noch vier Prozent aller Schweizer Fliessgewässer die ökologischen Anforderungen, welche die heutigen Gewässer- und Naturschutz-Gesetze stellen.
Die heutigen Gesetze verlangen zwar, dass Wasserkraft-Nutzer die von ihnen zerstörten Naturräume ökologisch wieder sanieren oder andernorts Ersatz schaffen. Solche Ersatzmassnahmen müssen Stromfirmen aber erst umsetzen, wenn die alten, in der Regel 80 Jahre gültigen Konzessionen ablaufen und durch neue ersetzt werden. Die meisten Konzessions-Erneuerungen werden im Zeitraum zwischen 2025 und 2050 fällig. Ab dann wäre eine deutliche Gesundung der von der Wasserkraft beeinträchtigen Naturräume zu erwarten.
Bürgerliche Parteien wollen Naturschutz aushebeln
Wäre – der obige Satz steht im Konjunktiv. Denn die Wasserkraft-Lobby, angeführt von Nationalrat und SVP-Präsident Albert Rösti, will jetzt die ökologischen Pflichten bei Neukonzessionierungen und damit insbesondere die heutigen Regeln im Natur- und Heimatschutz-Gesetz aushebeln. Die bürgerlichen Mehrheiten in den Energiekommissionen von National- und Ständerat unterstützen diese Absicht. Bis 15. Februar 2019 läuft die Vernehmlassung zur einer entsprechenden Parlamentarischen Initiative.
Ein Aufschrei der Öffentlichkeit gegen diese Unterminierung des Naturschutzes blieb bisher aus. Die Medien, ausgenommen wenige Fachzeitungen, informierten nicht darüber. Das liegt möglicherweise an der Formulierung der Initiative, die so kompliziert ist, dass Medienschaffende und andere Laien die Folgen kaum durchschauen können. Oder sich im Zeitalter von Aufmerksamkeits-Wettbewerb und Klickjagd nicht damit befassen wollen.
Die Wolfs-Initiative im Schafspelz ...
Die Verharmlosung beginnt schon im Titel des Geschäftes mit der Nummer 16.452: «Parlamentarische Initiative Ausbau der Wasserkraft zur Stromerzeugung und Stromspeicherung. Anpassung der Umweltverträglichkeitsprüfung». Dahinter steckt eine Änderung des «Bundesgesetz über die Nutzbarkeit der Wasserkräfte (Wasserrechtsgesetz WRG)», und zwar mit folgender Neuformulierung des Absatzes 5 in Artikel 58 a des WRG:
«Konzessionserneuerung. Als Ausgangszustand im Sinne von Artikel 10bAbsatz 2 Buchstabe a des Bundesgesetzes über den Umweltschutz vom 7. Oktober 1983 gilt für die Festlegung von Massnahmen zugunsten von Natur und Landschaft der Zustand im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung.»
Wer diese Juristensprache verstehen will, muss den erläuternden 20-seitigen Bericht der Energiekommission des Nationalrates lesen, den wohl ein Fachspezialist der Bundesverwaltung formuliert hat. Dann erfährt er auf mühsame Weise, worum es geht, nämlich: «Dies führt dazu, dass Landschaftsabschnitte nicht aufgewertet werden.» Dieses entscheidende Eingeständnis über die «Auswirkungen auf die Umwelt» erfährt der Leser erst auf Seite 17.
...und wie sie den Naturschutz aufweicht
Nachstehend fassen wir die heutige Regelung sowie die von der Parlamentarischen Initiative 16.452 angepeilte Aufweichung des Naturschutzes zusammen:
- Für die Neukonzessionierung eines bestehenden Wasserkraftwerks braucht es eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Diese muss sich auf heute geltende Gesetze stützen, im Wesentlichen auf das nationale Umweltschutz-Gesetz von 1983, auf mehrmals revidierte nationale und kantonale Gewässerschutz-Gesetze sowie auf das nationale Natur- und Heimatschutz-Gesetz (NHG).
- Gemäss diesem NHG sind Auen, Riedgebiete, Moore und andere artenreiche Gebiete im Uferbereich von Gewässern speziell zu schützen. Werden solche Gebiete durch die Nutzung der Wasserkraft beeinträchtigt, müssen sie wieder hergestellt oder andernorts ersetzt werden.
- Als Grundlage für die Wiederherstellung oder den Ersatz von beeinträchtigten Gebieten gilt bei neuen Wasserkraftwerken und andern Anlagen der ursprüngliche Zustand. Das gleiche Prinzip wenden Bundesamt für Umwelt sowie kantonale Umweltfachstellen auch bei Konzessions-Erneuerungen von bestehenden Wasserkraftwerken an; dies basierend auf einem Urteil des Bundesgerichts. Konkret: Wer die Konzession für sein bestehendes Wasserkraftwerk erneuern will, welches mit dem Segen der alten Konzession schützenswerte Naturlandschaften beeinträchtigte oder zerstörte, muss dafür sorgen, dass der Zustand vor dem Bau des Wasserkraftwerks wieder hergestellt oder entsprechend Ersatz geschaffen wird.
- Diese vorbildliche Bestimmung für Wiederherstellung oder Ersatz wird allerdings schon heute aufgeweicht mit der Einschränkung, solche Sanierungen oder Ersatzmassnahmen müssten «dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit» Rechnung tragen. Zudem sollen gemäss revidiertem Energiegesetz bei Interessenkonflikten die Interessen der Stromproduktion aus Wasserkraft neuerdings gleich hoch gewichtet werden wie die Naturschutz-Interessen.
Initiative will befristete Naturzerstörung verewigen
Im Vergleich zur bisherigen Praxis verlangt die Parlamentarische Initiative jetzt folgende wesentliche Änderung: Bei der Neukonzessionierung von bestehenden Kraftwerken soll nicht mehr der ursprüngliche Zustand, sondern der «Zustand im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung» für die Wiederherstellung oder den Ersatz von beeinträchtigten Naturlandschaften massgebend sein. Im Klartext: Die Naturzerstörung, den das vor 80 Jahren konzessionierte Kraftwerk bewirkte, würde verlängert, vorerst auf weitere 50 bis 80 Jahre, danach auf ewig, sofern spätere Generationen diese Aufweichung des Naturschutzes nicht wieder rückgängig machen.
Linke halbherzig, Umweltverbände dezidiert dagegen
Das Risiko besteht, dass beide Parlamentskammern diese einschneidende und bisher wenig beachtete Neuerung zu Lasten der Natur durchwinken. Denn die bürgerliche Mehrheit in den Energiekommissionen sowohl des National- als auch des Ständerats unterstützen die Parlamentarische Initiative von Nationalrat Albert Rösti, der neben der SVP auch den Wasserwirtschafts-Verband präsidiert. Die linke Minderheit der nationalrätlichen Energiekommission lehnt die Neuerungen ebenfalls nicht ab, will sie aber mit einer alternativen Formulierung etwas abschwächen.
Dezidiert gegen die beschriebene Praxisänderung – sowohl gegen die rechte Mehrheit als auch die linke Minderheit der Energiekommissionen – wehren sich die Naturschutz-Organisationen Aqua Viva, Pro Natura, WWF, BirdLife und der Fischerei-Verband. Ihr zentrales Argument: «Dadurch werden Eingriffe in die Natur, die mit der vormaligen Konzessionsvergabe ausdrücklich nur für eine beschränkte Zeit gestattet wurden, ohne angemessenen Ersatz dauerhaft ermöglicht.»
Nicht nur ökologisch, auch juristisch sei die Neuerung «höchst bedenklich», ergänzt Aqua Viva-Geschäftsführerin Antonia Eisenhut. Damit werde das umweltrechtlich zentrale Verursacherprinzip verletzt. Zudem entstehe eine ungleiche Behandlung zwischen Besitzern von Wasserkraftwerken wie etwa jenes der Axpo in Eglisau, die ihre Anlagen seit 1985 bereits nach der zurzeit geltenden Praxis neu konzessionieren liessen, und Besitzern von jüngeren Anlagen, die bei einer späteren Neukonzessionierung vom verwässerten Umweltrecht profitieren könnten.
Bundesrat stützt Schwächung des Gewässerschutzes
Soweit die Vorgeschichte, wie Infosperber sie vor einem halben Jahr darstellte. Mit seinem Entscheid unterstützt der Bundesrat jetzt die parlamentarische Initiative Rösti ebenfalls – und damit eine Praxisänderung zu Gunsten der Stromproduzenten und zu Lasten des Gewässerschutzes. Immerhin unterstützt er auch die alternative Formulierung der Kommissions-Minderheit, die ökologischen Ausgleich als unverbindliche «Kann-Vorschrift», also auf freiwilliger Basis, weiterhin zulassen will. Diese Unterstützung des Minderheits-Antrags ändert aber nichts am generellen Befund: Der Natur- und Gewässerschutz soll – einmal mehr – zu Gunsten der Stromproduzenten ausgehebelt werden.
Wie es parlamentarisch und politisch weitergeht
Als nächstes entscheidet nun das Parlament über die Parlamentarische Initiative – und wird sie wohl wie der Bundesrat und die vorberatenden Kommissionen befürworten. Weil diese Initiative aber eine Gesetzesänderung erfordert, können Parteien oder Organisationen diese Aufweichung des Gewässerschutzes mit einem fakultativen Referendum bekämpfen. Falls ein solches Referendum ergriffen wird und zustande kommt, entscheidet das Volk. So oder so: Es wird schwierig sein, die schwerwiegenden Folgen dieser schwer durchschaubaren Initiative der Öffentlichkeit vor Augen zu führen.
Medienmitteilung des Bundesamtes für Energie, 14.8.2019